Frau Weber, digitale und analoge Welt verschmelzen in Ihrem Fachgebiet. Was begeistert Sie daran?
Ich finde es grandios, mit wenig Materialeinsatz, aber viel Hirnschmalz Wertschöpfung erzeugen zu können. Beispielsweise liegt heute ein Grossteil der Wertschöpfung selbst in Traditionsprodukten wie Autos in der Software. Generell lässt sich beobachten, dass sich Unternehmen auch aus traditionellen Industrien immer mehr zu Tech-Unternehmen entwickeln. Mich fasziniert auch, dass sich das Software Engineering rasant weiterentwickelt und so meine Arbeit nie zur Routine wird. Gerade während der aktuellen Pandemie wird die Bedeutung von Software besonders deutlich. Ohne Software müssten wir in Zeiten des Social Distancing unsere Kommunikation, leicht überspitzt formuliert, wohl über Brieftauben abwickeln.
Wie können Mensch und Maschine gut miteinander interagieren?
Menschen und Maschinen können mittels unterschiedlicher Modalitäten kommunizieren. Klassische Formen der Benutzerinteraktion sind beispielsweise graphische Benutzeroberflächen und die Möglichkeit mittels Tastatur und Maus zu interagieren. Mittlerweile werden Benutzerschnittstellen zunehmend so gestaltet, dass Benutzer mit einem System auf natürliche Weise kommunizieren können. Stimmliche Benutzerschnittstellen (auch als Voice User Interfaces bekannt) erlauben es dem Benutzer mittels gesprochener Sprache mit dem System zu interagieren und finden sich unter anderem in digitalen Assistenten wie Siri, Google Assistant oder Alexa wieder.
Wir sprechen mit Robotern, nicht immer mit Erfolg. Wie kann ein Computer den Menschen besser «lesen» und verstehen?
Textbasierte Dialogsysteme wie in Chatbots erlauben eine Interaktion in natürlicher Sprache. Generell lässt sich beobachten, dass Interaktionen zunehmend multi-modal werden und Systeme in der Lage sind, Gesten, Gesichtsausdrücke, Emotionen oder auch kognitive Zustände zu erkennen. Mit meinem Team arbeite ich unter anderem an der Umsetzung sogenannter neuro-adaptiver Systeme, welche die mentale Belastung (Cognitive Load) des Benutzers beobachten und sich ggf. entsprechend anpassen. Wir verwenden neuro-physiologische Werkzeuge (z.B. Eye Tracking, EEG, etc.) um die mentale Belastung des Nutzers bei der Bewältigung von Aufgaben mittels der erwähnten Computer/Maschinen-Interaktionen zu messen. Aktuell forschen wir an der Gestaltung einer neuro-adaptiven digitalen Lernplattform und Softwareentwicklungsumgebung.
Mit welchen Methoden lässt sich die Mensch-Maschine-Interaktion messen und verbessern?
Eine gängige Möglichkeit sind subjektive Messungen, das heisst Selbstauskünfte des Benutzers hinsichtlich der Nutzungserfahrungen. Neben subjektiven Messungen gibt es sogenannte Verhaltensmessungen, die durch Beobachtung des Benutzerverhaltens Einsicht in die Mensch-Maschine-Interaktion geben. Dazu gehören die Analyse von Interaktionslogs aber auch Analysen des Blickverhaltens mittels Eyetracking oder die Analyse laut ausgesprochener Gedankengänge während der Benutzung des Systems (im Sinne der Think-Aloud-Methode) hinsichtlich kognitiver Vorgänge.
In unserer Forschung untersuchen wir, wie Experten und Nicht-Experten Geschäftsprozesse analysieren, in dem wir die erwähnten Methoden einsetzen. Um mit Hilfe der gesammelten Rohdaten emotionale oder kognitive Zustände erschliessen zu können, werden zunehmend Verfahren aus der KI, insbesondere dem Maschinellen Lernen, eingesetzt. Mit meinem Team beschäftige ich mich primär mit der Verständlichkeit von Software-Artefakten (Source Code aber auch konzeptionelle Modelle). Wir interessieren uns dafür, wie diese gestaltet werden können, sodass sie vom Benutzer möglichst gut verstanden werden. Dazu setze ich gerne auf multi-modale Messungen, welche mehrere der beschriebenen Messverfahren kombinieren.
Wie kann KI Menschen in der praktischen Arbeitswelt dabei helfen, Fehler zu vermeiden?
KI ist ein wichtiges Werkzeug im Rahmen neuer Konzepte der Industrie 4.0. Mit KI können wir aktiv Abweichungen und Fehler in der Produktion, in Maschinen und Prozessen feststellen (Stichwort Predictive Maintenance) und den Menschen darauf hinweisen. Auch Produktionsabläufe können wir mit KI (Datensammlung, Analyse, Klassifikation, Vorhersage, etc.) verbessern. Wir haben dazu ein physisches Model zur Simulation einer echten Fabrik und erforschen dort, wie wir die Produktion verfolgbar, anpassbar, fehlertolerant und nutzerfreundlicher gestalten können. KI kann auch genutzt werden, um aus Interaktionen zwischen Menschen und Maschinen zu lernen; und die Erkenntnisse für zukünftige Interaktionen zu nutzen, zum Beispiel um Neulinge anzuleiten oder Warnungen anzuzeigen.
Welchen Einfluss hat Künstliche Intelligenz auf die Entwicklung von Software genommen?
Traditionelle Softwaresysteme werden zunehmend mit KI-Komponenten integriert. Die Entwicklungsprozesse für traditionelle Softwaresysteme und KI-Komponenten unterscheiden sich massiv. Während traditionelle Softwareentwicklung auf dem Umsetzen von Requirements in Code basiert, werden KI-Komponenten mittels grosser Datenmengen trainiert. Eine Herausforderung ist dabei, die unterschiedlichen Entwicklungsphilosophien zu integrieren. KI kann die klassische Softwareentwicklung ergänzen, aber auf absehbare Zeit noch nicht ersetzen. Ein gutes Beispiel sind moderne Autos, mit welchen KI jetzt schon teilautonomes Fahren erlaubt; Bremssteuerung oder Entertainment aber werden mit klassischer Softwareentwicklung realisiert.
Zu welchen drei wichtigsten Erkenntnissen sind Sie in Ihrer Forschungsarbeit über die Mensch-Maschine-Interaktion gelangt?
Es hat sich gezeigt, dass es personalisierte Werkzeuge braucht, die sich an den Nutzer unter Wahrung der Privatsphäre anpassen. Ein Verständnis der kognitiven Prozesse des Benutzers ist entscheidend dafür, dass Software entwickelt werden kann, die sich an den Benutzer anpasst; und nicht den Benutzer zwingt, seine Arbeitsweise laufend an die Software anzupassen. Eine weitere Erkenntnis ist, dass der Einsatz multi-modaler Messverfahren zentral ist, weil man damit ein vollständigeres Bild über den Benutzer erhält. Will man diese Daten im Rahmen von personalisierten Systemen nutzen, setzt das allerdings neuartige Softwarearchitekturen voraus, die in der Lage sind, Daten laufend einzusammeln, nahezu in Echtzeit zu analysieren und dann entsprechende Anpassungen vorzunehmen.
Interview: Annkathrin Heidenreich
Author: Martin Eigenmann
Date: 23. May 2020