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Die «Maschinen-Flüsterin»

Wie lassen sich Software-Anwendungen nutzergerecht gestalten? Dieser Frage geht Prof. Dr. Barbara Weber am neu gegründeten Informatikinstitut der HSG auf den Grund. Ein Portrait.

Wie lassen sich Software-Anwendungen nutzergerecht gestalten? Dieser Frage geht Prof. Dr. Barbara Weber am neu gegründeten Informatikinstitut der HSG auf den Grund. Ein Portrait.Sehnsüchtig sieht Barbara Weber von der Dachterrasse des St.Galler Institutsgebäudes Richtung Appenzellerland. «Heute wäre fantastisches Kletterwetter.» Dass die Tirolerin an einem föhnigen Herbsttag nicht mit Seil und Helm in den Alpen unterwegs ist, liegt an ihrem zeitaufwendigen «Haupthobby»: Ihrem Beruf als Professorin für Software Systems Programming and Development am Institute of Computer Science (ICS-HSG).

Träfe man die Forscherin auf einer Berghütte, käme man wohl lange erst gar nicht auf ihren Beruf zu sprechen: Bei einem Kaffee erfährt man viel über den Zauber von Berglandschaften bei Skitouren, über Taekwondo-Wettbewerbe oder über laute Nächte im brasilianischen Dschungel. Die vielseitigen Interessen und die Lust am Entdecken der Welt lassen nicht direkt darauf schliessen, dass sich Barbara Weber beruflich unter anderem mit komplexen Software-Anwendungen befasst. «Ich will Technologie leichter nutzbar machen. Programmieren muss für alle zugänglich sein.» Um dies zu erreichen, entwickelt die Forscherin neue Methoden und Werkzeuge in ihrem Fachgebiet. Zwischen den Daten und Algorithmen muss es etwas geben, das richtig «Gaudi macht». Sonst würde Barbara Weber nicht so strahlen, wenn sie über ihr wissenschaftliches Terrain spricht.

Experimentierfeld «Industrie 4.0»
Technik und Prozesse sind «Zuckerl» für die lebensfrohe Österreicherin. Mit ihrem Team hat die frisch nach St.Gallen berufene Ordinaria eine Modellfabrik für industrielle Produktionsprozesse aufgebaut. Mit glänzenden Augen zeigt sie die blaurote Lernfabrik von Fischertechnik, so gross wie ihr Pult. Das Modell macht das Thema «Industrie 4.0» greifbar und dient als Experimentier- und Demonstrations-Plattform.

Ihr Team arbeitet daran, Software und Prozesse flexibler zu machen. «Wir wollen die Produktionsprozesse so dynamisch programmieren, dass im Falle von Störungen oder Materialmangel die Fabrik nicht einfach stillsteht», erklärt Barbara Weber. So kann auch ad hoc umgeplant werden, andere Produktionsprozesse laufen trotz des Störfalls weiter. Die Industriemitarbeiter können sich auf wichtige Aufgaben konzentrieren, die Computer übernehmen das Störfall-Management. «Unser Ziel ist es, Modelle und Werkzeuge zu entwickeln, die es erlauben, die Verbindung zwischen Menschen und Maschinen zu erleichtern.» Fachsprachlich ausgedrückt forscht Barbara Weber mit ihrem Team also im Bereich prozessorientierte Informationssysteme, Verständlichkeit von Software Artefakten sowie kontextorientierte und adaptive Softwaresysteme.

Anwendungen nutzergerecht gestalten
Flexible prozessorientierte Informationssysteme und die «Verständlichkeit für den Endverbraucher» sind Barbara Webers wissenschaftliche Steckenpferde. Zurzeit arbeitet die Forscherin an neuroadaptiven Softwaresystemen, die den emotionalen und kognitiven Zustand der Nutzer berücksichtigen. Anhand der gesammelten Daten richten sich die Systeme selbständig neu aus und integrieren dabei auch das «Internet der Dinge». «Ich untersuche, wie Applikationen nutzergerechter gestaltet werden können, um den Endverbraucher in personalisierter Form in seinen Bedürfnissen zu unterstützen», erklärt die Professorin an einer Skizze. Das Ziel dabei sei die Realisierung einer Anwendungsentwicklungs- und Experimentierplattform, welche das Umsetzen von solchen kontextorientierten Applikationen beschleunigt und das Durchführen von Experimenten erleichtert.

«Nerd-Wissen» tanken in den Ferien
Schon als Mädchen weckte die Informatik Barbara Webers Neugier. Mit zwölf bekam sie ihren ersten Computer. In Coding-Ferienkursen sprang der Funke über: Programmieren wurde zu ihrem neuen Zeitvertreib. War sie nicht draussen in der Natur, dachte sie sich neue Anwendungen aus. Während des BWL-Studiums in Innsbruck gab sie ihr «Nerd-Wissen» weiter. Mit Computer-Kursen und dem Vollzeit-Job als Software-Entwicklerin bei einer Krankenkasse finanzierte sie sich Studium, Hobbies und Reisen. «Sport und Natur waren immer meine Antipole zum beruflichen Gehirnjogging», sagt die Professorin. In ihrer Doktorarbeit befasste sie sich schwerpunktmässig mit einem Thema aus der Wirtschaftsinformatik und wechselte 2004 an das 2001 gegründete Institut für Informatik an der Fakultät für Mathematik, Informatik, und Physik an der Universität Innsbruck. Fünf Jahre arbeitete die Wissenschaftlerin dort. Dann habilitierte sie als erste Frau im Fachbereich der Informatik in Innsbruck. 2010 erhielt sie eine Tenure-Track-Assistenzprofessur. Nach erfolgreicher Evaluation wurde sie 2011 zur assoziierten Professorin in Innsbruck ernannt und baute einen Schwerpunkt zum Thema Business Process Management auf.

Kayak statt Klettern: Forschen in Dänemark
Anfang 2016 bot sich eine spannende neue Herausforderung. Barbara Weber war froh, den Rat eines Freundes beherzigt zu haben: «Bewirb Dich, sonst bereust Du’s später.» Reueloser Erfolg: 2016 erhielt sie einen Ruf auf eine volle Professur an der Technischen Universität Dänemark (DTU). In Lyngby leitete die Wissenschaftlerin zusätzlich die Software and Process Engineering Section am Department of Applied Mathematics and Computer Science. «Mich kostete es einige Überwindung, weg von den Bergen nach Dänemark zu ziehen», erinnert sich Barbara Weber. So gern sie die Welt bereist – so glücklich fühlte sie sich auch in den Tiroler Alpen. «Die Aussicht, diese interessante Aufgabe mit einem neuen Hobby zu verbinden, war dann aber doch zu verlockend», sagt Weber. «Ich suchte mir eine Bleibe in Kopenhagen mit Zugang zum Meer und ging viel Kayak fahren und Winterschwimmen.» Nicht nur das Seeklima gefiel der Alpinistin. Auch das wertschätzende Miteinander in der dänischen Arbeitswelt sagte ihr zu. «Als Tirolerin war ich eine wertkonservative Umgebung gewöhnt – es war erfrischend, in Dänemark Teil einer sehr liberalen Gesellschaft zu sein.» Die Arbeit an der DTU machte Freude: Barbara Weber konnte eine bestehende Organisation umbauen und zum Laufen bringen. Dann rief der Berg Säntis – oder besser gesagt: Die Universität St.Gallen.

Start-up Atmosphäre in St.Gallen
Nach drei Jahren tauschte die Forscherin ihr dänisches Kayak wieder in Wanderschuhe ein. «Mir taugte die Idee, den Studienschwerpunkt Informatik in St.Gallen komplett neu aufzubauen.» Das Alpenvorland war eine schöne Beigabe zum neuen Job – pünktlich zur Tourensaison stand Barbara Weber an der HSG in den Startlöchern. Hier galt es, ihr Forschungsgebiet neu einzuführen und die Institutsstruktur aufzubauen. «Ich geniesse die Start-up-Atmosphäre an unserem frisch gegründeten Institut», sagt Weber. «Hier arbeiten alle mit grossem Elan und Spass an der Einbürgerung der Informatik im HSG-Studium.» Mit ihren Kolleginnen und Kollegen gleist sie den Bachelor- und Masterstudiengang in Informatik auf.

2021 soll das neue Masterprogramm starten, 2022 das Bachelorprogramm. Gleichzeitig vermittelt Barbara Webers Team HSG-Studierenden anderer Studiengänge grundlegende Informatikkenntnisse. Die Forscherin freut sich über die Neugier der Management-Studierenden. «Das Interesse am Verständnis neuer Technologien steigt – in der Gesellschaft und natürlich auch bei den Studierenden. Es ist nützlich, die Software zu verstehen, welche unseren Alltag immer stärker beeinflusst.»

«Das Berufsleben will gewagt werden»
Neben Basisthemen wie dem Programmieren, Algorithmen und Datenstrukturen und agile Software Entwicklung unterrichtet Barbara Weber HSG-Studierende derzeit auch in vertiefenden Spezialkursen zu den Themen Geschäftsprozessmodellierung, Prozessautomatisierung und -monitoring. «Mir ist die akademische Lehre sehr wichtig; ich unterrichte genauso gerne, wie ich forsche.» Als Dozentin erhielt Barbara Weber von ihren Studierenden stets Bestnoten. «Ich versuche, meine Studierenden zu ermutigen, eigene Wege einzuschlagen und vieles auszuprobieren – das Berufsleben will gewagt werden», sagt Weber. Als erste habilitierte Frau in Informatik an der Universität Innsbruck weiss die Forscherin, wovon sie spricht. «Meine berufliche Laufbahn entstand nicht nach Schema F auf dem Whiteboard. Ich habe mich Schritt für Schritt verändert.» Genau wie bei ihrem Hobby Felsklettern: Konzentriert auf die Gegenwart, Blick voraus – in die technologische Zukunft.

Annkathrin Heidenreich

Author: Martin Eigenmann

Date: 21. January 2020